Im Scheitelpunkt eines engen Talbogens, kräuseln sich von der Höhe des kleinen Odenwalds herab in einer kleinen Schlucht, die schmalen Wasser des Krösselbachs in den Neckar und geben dem Ort den Namen. Auf dem schmalen Grundstück am Fuß des steilen, bewaldeten Hangs, direkt am Neckar, erbauten Gustav und Carla Schließler 1928 ein Sommerhäuschen neben einer ganzjährig schüttenden Quelle mit gutem Wasser.
1937 emigrierte die Familie an diesen zurückgezogenen Flecken und wohnte seither hier. Von einer mittelalterlichen Siedlung zeugt heute noch ein großes Kellergewölbe, das von der Familie Schließler damals ausgegraben wurde.
Kriegsbedingt konnte Gisela Schließler, Tochter von Gustav und Carla, nur eine kurze Zeit bis 1942 an der Akademie in Karlsruhe einer bildhauerischen Ausbildung nachgehen. 1945 wurde ihr eine Töpferscheibe geschenkt, weil man wusste, dass sie mit Ton arbeitete, kleine Plastiken modellierte und seit 1942 in einem kleinen Bretterschuppen in Krösselbach auchein Atelier hatte.
Der Töpfermeister Michael Fischler, Flüchtling aus Schlesien, hörte von der Töpferscheibe und bewarb sich als Töpfer. Daraufhin beschloss Carla Schließler, Giselas Mutter, eine Töpferei zu eröffnen.
Eine kleines Werkstattgebäude mit integrierter Wohnung für Familie Fischler wurde gebaut und das Anwesen an das Elektrizitätsnetz angeschlossen.
Ende 1946 war die Firma „Krösselbacher Kunstkeramik und Plastik, Carla und Gisela Schließler“ gegründet. Aus einer Tongrube in der Nähe erhielt man das Rohmaterial, das mit Trommelmühle, Filterpresse und Tonschneider nass aufbereitet wurde. Die Tongrube gehörte der „Friedrichsfelder Steinzeug“ Mannheim, die hier den rotbrennenden Glasurlehm für ihre Steinzeugrohre gewann. Später wurde die Grube für die Werkstatt erworben.
Da Carla Schließler eine Unternehmerin war, aber keine Keramikerin, konnten die ersten MitarbeiterInnen ihre eigenen Ideen/Gestaltungen verwirklichen, solange diese verkäuflich waren.
In den Jahren etwa bis 1950 beschäftigte die Werkstatt zusätzlich zu Michael Fischler, kürzer oder länger, mehrere kunsthandwerklich oder künstlerisch versierte Personen als Malerinnen, die ihre Talente in oft sehr gegensätzlicher Weise auf Keramik umsetzten.
Die Keramiken von Michael Fischler waren angelehnt an die schlesische Töpfertradition mit Engobe bemalt und transparent überglasiert.
Eine Mitarbeiterin malte chinesisch/japanische Motive auf eingekaufte Geschirre. Eine andere entdeckte die Fayencetechnik für traditionelle Blümchendekore.
1948 kam Cläre Zange als junge Graphikerin nach Abschluss ihres Studiums in Leipzig und Mainz zunächst für ein Volontariat in die Werkstatt. Sie entwickelte dann sehr schnell moderne Dekore für das bestehende Gefäßprogramm, das sich gut verkaufte. Carla Schließler war von ihren Talenten sehr angetan und unterstützte die sich anbahnenden zarten Bande zu ihrem Sohn Otto. 1950 heirateten Otto Schließler und Cläre Zange. 1951 wurde Sohn Alfred geboren, der bis heute die Werkstatt betreibt.
Carla Schließler kümmerte sich zunächst auch um den Verkauf, chauffiert und unterstützt von Sohn Otto, der aber bald alleine reiste und Geschäftsbeziehungen zu Kunstgewerbegeschäften, Möbelhäusern und Leuchtenfachgeschäften in ganz Deutschland aufbaute.
Gisela Schließler leitete die Werkstatt und die Lehrlingsausbildung der Töpfer, Cläre Schließler tat Gleiches in der Malerei. In diesen Jahren arbeiteten und lernten bis zu 25 Personen in Krösselbach.
Gustav Schließler, Carlas Mann, Studienrat i.R., überwachte die Finanzen und stabilisierte mit seiner Rente in den Anfangsjahren die finanzielle Gesamtsituation, bis die Werkstatt auf eigenen finanziellen Füssen stehen konnte.
Carla Schließler aber war das Herz, der Geist und die – auch im ganz wörtlichen Sinne – treibende Kraft.
1951 kündigte Fischler, er wanderte in die USA aus. Am Tag nach der Kündigung bewarb sich der junge Töpfergeselle Karlheinz Löffler aus Erbach/Odenwald um die Stelle. Karl-Heinz Löffler blieb 11 Jahre in Krösselbach.
Durch die feste Mitarbeit und Einheirat von Cläre Zange bekam die Werkstatt zum ersten Mal eine gestalterische Linie, eine durchgehende Dekor- und Formensprache.
Karl-Heinz Löffler, sehr talentiert und versiert, griff die Impulse von Cläre Schließler auf und entwickelte bald prägnante, eigene Formen. Diese gestalterische Zusammenarbeit war äußerst fruchtbar und führte die Werkstatt in den Kreis der Avantgarde der Keramikmanufakturen der 50er und 60er Jahre.* (* Horst Makus, Keramik der 50er und 60er Jahre, Arnoldsche)
Seit 1953 wurde auf der Frankfurter Messe ausgestellt. Otto Schließler war das restliche Jahr in Deutschland unterwegs, um die Produktion zu verkaufen.
1962 starb Carla Schließler und ihr Sohn Otto übernahm ihren Geschäftsanteil. Die Werkstatt firmierte jetzt „Krösselbacher Fayence, Otto und Gisela Schließler“.
Mit dem Ende der Nierentischzeit in der ersten Hälfte der 60er Jahre waren die z.T. asymmetrischen Formen und fantasievollen Dekore nicht mehr gefragt.
Karl Heinz Löffler hatte mit grob schamottierten und mit Manganoxid eingefärbten, schwarzen Masse experimentiert. Cläre Schließler zeichnete konstruiert wirkende Formen aus Zylindern, Kegelstümpfen sowie Kugeloder Ei-Segmenten. Gisela Schließler, von der Bildhauerei her kommend, entwickelte weiche schwungvolle Formen für das neue Material. Innerhalb kürzester Zeit stand eine komplett neue, wieder den Zeitgeschmack treffende und prägende Kollektion auf der Frankfurter Messe und bewarb sich erfolgreich um die Gunst der Kunden.
Der Erfolg der Werkstatt in den ersten 40 Jahren war nicht zuletzt der Symbiose dieser beiden so unterschiedlich arbeitenden Frauen zu verdanken!
Viele Jahre war die sehr rauhe, unglasierte, schwarzbraun brennende Masse dominant für dekorative Gefäße, sowie für das sich stark erweiternde Angebot von Stehleuchten, die mit Lampenschirmen komplettiert wurden.
Leuchtend türkisblaue und grüne Alkaliglasur auf heller Engobe, sowie rote und gelbe Selen-Cadmium-Glasuren wurden für dekorative Flachware eingesetzt. Eine Zeit lang beherrschte die rote Glasur über dem rauhen Scherben auch die Gefäßkeramik und die Lampenfüße.
In dieser oder ähnlicher Materialkombination wurden über die Jahre hinweg unzählige Wandplaketten produziert und eine Vielzahl großer baukeramischer Arbeiten für private und öffentliche Bauherren ausgeführt.
1962 trat der kretische Töpfer Konstantin Zachariou die Nachfolge von Karl-Heinz Löffler an und gab den neuen, oft auf dem Reißbrett gezeichneten Formen Gestalt und Leben. Er war bis Mitte der 80er Jahre die tragende und zuverlässige Säule der Produktion.
1967 begann Alfred Schließler die Töpferlehre in der heimischen Werkstatt und beendete 1975 die Ausbildung erfolgreich mit der Meisterprüfung und dem Abschluss an der Fachschule für Keramikgestaltung in Höhr-Grenzhausen.
Nach 2 ½ Jahren als Kerammodelleur bei PENTIK in Nord-Finnland kehrte er 1977 in den Betrieb der Familie zurück und übernahm die Ausbildung der Lehrlinge.
Die Töpfer wurden davon erlöst, mit Handschuhen drehen zu müssen durch die Einführung einer glatten, braunen Masse, mehrfach übergossen mit matt-beiger Zink-Barium-Glasur.
Gisela Schließler entwickelte darauf aufbauend eine eigene, sehr spannungsreiche, meist bauchige Formensprache. Ränder und andere Details der bestehenden Formen wurden weicher und feiner ausgearbeitet. Dies kam der zunehmenden Ausbildung von Töpferlehrlingen seit Beginn der 70er Jahre entgegen, schulte deren Blick und ihre Hände.
In manchen Jahren lernten bis zu 9 Töpfer-Lehrlinge gleichzeitig und die Belegschaft umfasste ca. 15 Mitarbeiter. Einige bekannte, zeitgenössische KeramikerInnen erfuhren hier ihre erste Ausbildung.
Das Jahr 1982 brachte den höchsten Umsatz, die beste Frankfurter Messe der Firmengeschichte und sollte eine Zeitenwende einleiten. Der Absatz über Zwischenhändler brach in den folgenden 15 Jahren zunehmend und dramatisch ein, 1996 wurde das letzte Mal in Frankfurt ausgestellt. Danach wurden Töpfermärkte die ökonomische Basis der Werkstatt.
1986 übergab Gisela Schließler Ihren Geschäftsanteil an ihren Neffen Alfred, zog endgültig in das eigene Atelier um, das 1977 eingerichtet wurde und widmete sich dem Steinzeug und Porzellan. Ihr letzter Lehrling, Thomas Naethe, der später noch zu Wort kommen soll, erfuhr hier zu seiner Lehrzeit auch keramisch prägende Zeiten.
Otto und Cläre Schließler zogen sich 1987 aus der aktiven Mitarbeit zurück.
Hanna Born, ausgebildet an der Muthesiusschule in Kiel, Fachrichtung Industrielle Formgebung, und Alfred Schließler heirateten 1986 und betrieben fortan gemeinsam, seit 2000 ohne weitere Mitarbeiter, die „Keramikwerkstatt Krösselbach“.
In dem veränderten wirtschaftlichen Umfeld konnten sie neue Gestaltungsideen erproben und durchsetzen. Nach Überlegungen, Fertigmassen zu verarbeiten, besann man sich jedoch auf die eigenen Ressourcen und entwickelte auf der Basis des eigenen Tones eine sehr feine Irdenware-Masse, die bei 1070°C gebrannt, fast dicht und von der Wasseraufnahme dem Steinzeug ebenbürtig ist. Damit wurde die Produktion vollständig auf Gebrauchskeramik umgestellt.
Ihr Erscheinungsbild wurde geprägt durch die Eindrücke aus Skandinavien. Tapio Wirkkala, Aino Aalto und andere skandinavische DesignerInnen waren atmosphärisch präsent. Marimekko-Textilien, Iittala-Glas und Arabia-Geschirr prägten den Blick, aber auch Pott-Besteck. Die Erinnerung an die Studienzeiten in Höhr-Grenzhausen und an die Muthesiusschule bewirkten das Ihrige. Alles ergänzte die eigene Neigung zu Klarheit und Aufgeräumtheit.
Seit ca. 2007 wird nur noch eine weiße, zirkongetrübte Industrie-Glasur eingesetzt. Gerade diese Reduktion in Farbe und Form hat erfolgreich eine Nische auf dem Markt besetzt.
„…. Alfred ist ein exzellenter Freidreher. Er arbeitet sicher, präzise und kraftvoll. Das können viele auch, aber niemand von allen, die ich habe drehen sehen, dreht so elegant wie er. All seine Bewegungen haben einen ruhigen, gleichmäßigen Fluss. Die Gefäße wachsen rasch in den Raum und seine Hände helfen nur ein bisschen, die Richtung zu finden. Ich könnte ihm stundenlang zusehen.“
„… hier steht eine weißglasierte Teeschale auf meinem Tisch. Sie ist dünnwandig, ihr Scherben ist aus rotem, sehr feinem Ton gedreht, Boden und Randzone sind nicht glasiert, der Rand selbst ist sehr fein, aber nicht scharfkantig. Der leicht gewölbte Bauch ist in 7 Querrillen gegliedert, die mit einer weißen, makellosen, glänzenden Glasur gefüllt sind. Das Innere und der ausgedrehte Boden tragen die gleiche Glasur. Die einzelnen Streifen sind durch dünne, sehr sauber gearbeitete Grate aus dem roten Scherben voneinander getrennt. So eine Arbeit erfordert Voraussicht, Erfahrung und Können.“
„… Nach dem Schrühbrand werden die Stücke durch Tauchen glasiert. Die Grate und Ränder werden zuerst mit scharfen, dünnen Blechen, dann mit einem trockenen Filz von der Glasur befreit. Mit dieser Technik hat Alfred seit der Jahrtausendwende eine ganz neue Produktlinie entwickelt. Er hat mit nur hauseigenen Mitteln etwas völlig Eigenständiges geschaffen. Möchte man Alfred kennenlernen, muss man nur diese Arbeiten aufs Genaueste studieren.“
„Ich strebe nach strengen, spannungsreichen, rotationssymmetrischen Formen, die auf der Töpferscheibe entstehen und lederhart nachbearbeitet werden. Flächen werden gerillt, geritzt und poliert. Die weiße Glasur setze ich in Kontrast zu den unglasierten, rotbraunen Partien polierten Tones. Von Hanna werden Farbstempel zur Dekoration eingesetzt.“
Diese Chronik erschien im Magazin „NEUE KERAMIK“, Ausgabe 2/2020 (Download als PDF)